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Bindungsorientierte Erziehung und Regeln

Die Sache mit den Regeln

Regeln sind ein großes Thema in unserer Familie. So ganz ohne geht es meistens nicht, oder zumindest nicht lange gut, und ein Zuviel an Regeln fühlt sich auch oft falsch an. Und irgendwie denke ich, dass ist das Dilemma dieser Elterngeneration, die gerade ihre Kinder großzieht. 

Bedürfnisorientierte Erziehung ist ein riesen Ding und viele Eltern geben alles, um alte Erziehungsstile aufzubrechen und mit ihren Kindern in einen respektvollen Dialog zu gehen. Aber um Regeln kommen sie am Ende doch alle nicht herum. Ist das so schlimm? Dieser Generation wird oft nachgesagt, ihre Kinder zu lasch zu erziehen, zu wenig Struktur und Grenzen zu setzen und die Kinder zu sehr zu verwöhnen. Dabei geschieht dies ja in der Regel nicht aus Unwissenheit oder Gleichgültigkeit, sondern weil Eltern der Meinung sind, das sei der richtige und notwendige Weg um ihre Kinder zu selbstbewussten, kritischen und charakterlich gefestigten Menschen heranwachsen zu lassen.

Wie viele Regeln sind notwendig? Und wo hört der Spaß auf?

Zuerst kann man versuchen, einmal zwischen Regeln und Grenzen im gemeinsamen Familienleben zu unterscheiden. Eine Handvoll Regeln ist nützlich, um ein gut strukturiertes Familienleben zu organisieren und aufrecht zu erhalten. Dazu gehört zum Beispiel die Tatsache, dass wir einander im Streit nicht wehtun, uns an verschiedene zeitliche Absprachen halten oder das „Nein“ des anderen akzeptieren. Alles was darüber hinaus geht sind dann eher die Grenzen jedes einzelnen, die wir zwar versuchen zu wahren, aber deren Einhaltung nicht immer zu 100% garantiert werden kann. Grenzen können sich widersprechen oder auch mal ausgeweitet werden. Das ist dann eher Verhandlungssache und eine Frage von gegenseitigem Respekt. 

Meine Grenze ist zum Beispiel in Bezug auf Lautstärke ziemlich schnell erreicht. Ich ertrage es nur schlecht, wenn die Kinder laute Musik hören, sich parallel dazu anschreien und der Staubsauger im Hintergrund auch noch dröhnt. Das ist für mich wirklich anstrengend und ich kommuniziere meine Grenze sehr deutlich. Dennoch wird sie nicht immer eingehalten und manchmal überschritten. Das ist ein Aushandeln und erfordert einen Dialog, damit am Ende ein Kompromiss entstehen kann. Durch die bloße Regel „laute Musik ist verboten“ wird kein Dialog entstehen, sondern ich mache Gebrauch von meiner Macht als Erwachsenem und bin laut Jesper Juul lediglich „Polizistin meiner eigenen Familie“. So gewinne ich keine gesunde Autorität und die Kinder werden mein Bedürfnis nach etwas weniger Lautstärke künftig auch nicht besser respektieren. Klar, da könnte ich dann Strafen einsetzen oder mit Belohnungen arbeiten – aber das ist kein für beide Seiten zufriedenstellender Kompromiss und meine Autorität würde letztlich auf sehr wackeligen Beinen stehen. 

Wie stelle ich Regeln für das Familienleben auf?

Wie also Regeln aufstellen und Grenzen aushandeln, mit denen am Ende alle so halbwegs mitgehen können? Zunächst mag ich feststellen, dass Regeln sich im Normalfall auf Grundbedürfnisse, Sicherheit und unfallverhütende Maßnahmen beziehen. Ich stelle Regeln auf im Straßenverkehr, auf Großveranstaltungen und im Umgang mit Menschen oder Tieren. Immer dann, wenn es potenziell sehr gefährlich werden kann stelle ich Regeln auf, deren Einhaltung ich nicht zur Debatte stelle. Das können die Kinder ganz doof finden, aber dieses Recht nehme ich mir als Elternteil raus. Alles andere sind Absprachen, Grenz-Verhandlungen, individuelle Kompromisse, die wir gerne von Tag zu Tag aushandeln, oder die ich ganz meinen Kindern überlasse. Alles, wovon ich denke, dass mein Leben in einem Jahr nicht davon beeinflusst sein wird, können wir von Tag zu Tag neu entscheiden, oder auch mal uneins sein – das kommt vor. Medien- und Süßigkeitenkonsum, Kleidung, Frisuren, Freizeitgestaltung, etc… das sind Dinge, da lohnt es sich nicht von meiner Macht Gebrauch zu machen und eine starre Regel aufzustellen (deren Einhaltung mir nachher selber noch zu anstrengend wird). 

Grenzen setzen bedeutet Grenzen wahrnehmen

Was wichtig bleibt, um nicht unterzugehen in bedürfnisorientierter Erziehung ist, die eigenen Grenzen klar zu kommunizieren: „Das ist mir viel zu laut – ich brauche etwas Ruhe damit ich keine Kopfschmerzen kriege.“ oder „Mir ist es wichtig, dass ihr gesund und fit bleibt – deshalb achten wir darauf, welche Lebensmittel wir zubereiten.“ Nur so kann Dialog entstehen und nur so können meine Kinder auch lernen, dass in einer Gemeinschaft die Grenzen jeder Person ernst zu nehmen sind – auch ihre eigenen. 

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